top of page

HOAI - "Culpa in contrahendo" Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten & ihre Folgen


Veröffentlicht im Deutschen Ingenuerblatt (Ausgabe 03.2016)

Link zum Original-Beitrag:

https://www.deutsches-ingenieurblatt.de/archiv/archiv-deutsches-ingenieurblatt/artikel/2016/dib-3-2016/13348-verletzung-vorvertraglicher-schutzpflichten-und-ihre-folgen/

Einige der wesentlichen Bestandteile der Architekten- und Ingenieurleistungen sind die Akquisetätigkeiten sowie die Vertragsverhandlungen mit den zukünftigen Bauherren. Doch die Beratungs- und Informationspflicht eines Architekten bzw. eines Ingenieurs fängt nicht erst ab dem Zustandekommen des Planungsvertrages an, sondern ist bereits im vorvertraglichen Verhältnis einzuhalten.

Lange kannte das bürgerliche Gesetz keine vorvertraglichen Schutzpflichten der Vertragsparteien zueinander, doch dank Rudolf von Jhering – einem der führendsten Rechtsgelehrten der Neuzeit – und seiner in der juristischen Fachwelt geschätzten Erkenntnis, der culpa in contrahendo (c.i.c.), wurde auch diese Lücke geschlossen.


Culpa in contrahendo, also die vorvertragliche Verletzung der Schutzpflicht einer der Vertragsparteien, ist bereits seit der Schuldrechtsreform des Jahres 2002 im BGB

(§§ 311 ff. BGB) verankert und bildet einen wesentlichen Bestandteil der aus dem Gewohnheitsrecht entstandenen Rechtsinstitute des bürgerlichen Rechts. C.i.c. regelt die Schadensersatzansprüche einer Vertragspartei, die aufgrund einer vorvertraglichen Pflichtverletzung der Gegenseite entstehen.

Beachtung in der Praxis

Die ersten Beratungs- und Verhandlungsgespräche mit den zukünftigen Bauherren gehören zu den wichtigsten Schritten auf dem Weg zur respektvollen und konstruktiven Zusammenarbeit. Das dem Bauherrn dabei vermittelte Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit und die Zuverlässigkeit des Vertragspartners bildet den wichtigsten Grundpfeiler für das weitere Vertragsverhältnis.


Der Planer unterliegt insbesondere bei Gesprächen mit privaten Bauherrn, die mit den Tiefen der Honorarordnung der Architekten und Ingenieure (HOAI) nicht vertraut sind, einer besonderen Aufklärungs- und Hinweispflicht.


Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, reicht es nicht, wenn er den Bauherrn lediglich über die von ihm geschuldete Planungsaufgabe und die Planungsverantwortung informiert, z.B. indem er mit ihm den Grundleistungskatalog durchspricht oder die Abgrenzung der Grundleistungen zu den besonderen Leistungen aufzeigt. Stattdessen müsste er den unwissenden und meist honorarrechtlich unerfahrenen Vertragspartner insbesondere über die von der HOAI vorgegebenen und für den jeweiligen Planungsauftrag maßgebenden Abrechnungsmodalitäten aufklären, ihn darüber zumindest in Kenntnis setzen oder eine Empfehlung aussprechen, sich den fachlichen Rat eines Unabhängigen einzuholen.


Honorarrelevante Rahmenbedingungen – abgesehen von der Honorarzone, dem Grundleistungsumfang und der Höhe der anzusetzenden Nebenkostenpauschale – wie zum Beispiel die Höhe des Umbau- und Modernisierungszuschlages und den Zeitpunkt seiner Vereinbarung können einen erheblichen Einfluss auf die Höhe des Architekten- oder Ingenieurhonorars haben. Sitzt auf der anderen Seite des Tisches ein HOAI-Laie, so läuft er Gefahr, in eine womöglich von beiden Seiten ungewollte Abrechnungsfalle zu tappen.

Beispiel: Der Umbauzuschlag

Gem. § 6 Abs. 2 HOAI 2013 kann zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer ein Umbauzuschlag schriftlich vereinbart werden (siehe auch die vorangegangenen Beiträge). Sollte im Vertrag darüber keine eindeutige Regelung getroffen werden, wird ab einem durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad (also in der Regel ab der Honorarzone 3) die Vereinbarung eines Mindestumbauzuschlag von 20% vermutet.


Nach Einschätzung des Verfassers unterliegt der Aufklärungspflicht des Architekten auch der Hinweis auf die erforderliche schriftliche Vereinbarung eines angemessenen Umbauzuschlages. Die Höhe des Zuschlages kann in einem gemeinsamen Diskurs zwischen den Vertragsparteien abgewogen und letztendlich im Vertrag schriftlich dokumentiert werden. Weist der Architekt den Bauherrn nicht auf diese Erfordernis hin oder verschweigt er sogar in der Spekulation die nachträgliche Mindestumbauzuschlagsvermutung von 20% der Grundhonorarhöhe, so macht er sich unter Umständen und der Abwägung des Einzelfalls gegenüber dem anderen Vertragspartner aus §§ 311 ff. BGB schadensersatzpflichtig.

Fazit

Culpa in contrahendo kann als ein unsichtbarer Mantel aus Schutzpflichten angesehen werden, der beide Vertragsparteien sowohl schützen als auch belasten kann. Die vorvertraglichen Schutzpflichten sollten in der Praxis von beiden Seiten ernst genommen und eingehalten werden. Erst der vertrauensvolle und offene Umgang miteinander sichert eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen dem Planenden und dem Bauherrn und trägt zu einem erfolgreichen Projektverlauf und seinem Abschluss bei.



195 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page